Requiem Pro Superstitibus

Mit “Greetings to Andromeda. Requiem” veröffentlicht Nadja Zela ihr erstes Album seit dem Tod ihres Mannes. Es ist ein Requiem geworden, wie die Zürcher Musikerin erzählt.

“Zu dem Zeitpunkt, als ich beschloss, mein neues Album als Requiem zu schreiben, war gar nichts anderes mehr möglich. Ich versuchte Musik zu hören, aber mir kam alles platt und unbedeutend vor. Ich empfand nichts mehr beim Musikhören. Es war grauenvoll, als wäre die Musik auch gestorben und nicht nur mein Mann. Dann dachte ich, vielleicht muss ich es einmal mit einem Requiem versuchen. Auch da berührte mich zwar wenig, aber einiges dann doch.

Michel, der Bassist, hat sich vor allem in die Musiktheorie von Requien vertieft und ich in ihre historische Bedeutung. Wir nahmen die Struktur klassischer Requien und machten uns einen Spass daraus, sie mit unserer Sicht der Dinge neu zu befüllen. So ist unser Requiem auch kein Requiem pro Defunctis geworden – für die Verstorbenen – sondern soll vor allem die Hinterbliebenen ansprechen (soll also ein Requiem pro Superstitibus sein).

Es werden ständig überall auf der Welt Requien geschrieben. Heutzutage hat sich ihre Bedeutung aber sehr verändert. Früher waren es häufig Auftragsarbeiten für bekannte oder reiche Persönlichkeiten, für die eine festliche Abdankung geplant war. In der Neuzeit schrieben viele Musiker*innen moderne Requien, zu Kriegsthematiken und sogar zu Völkermorden. Ich denke unser Requiem ist etwas Besonderes, weil sich bislang sehr wenige Populärmusiker an das Genre wagten und auch, weil es von Trauer, Verlust, und Einsamkeit handelt und dem Umgang damit. Bei unserem Requiem geht es eher um die zarten, leisen und innerlichen Themen und weniger um Gewalt und Todesszenarien.

Ich wollte die Geschichte der Requien nicht einfach ignorieren. All die Werke, die geschrieben worden sind, von hunderten von genialen Musikern. Ich wollte sie untersuchen und etwas eigenes daraus machen. Ich finde es extrem inspirierend, andere Denkweisen und Ansätze zu untersuchen, auch religiöse. Ich habe grossen Respekt vor allen Versuchen in der Welt, etwas Wärme und Trost zu generieren. Problematisch wird für mich Religion erst dann, wenn Freiheiten eingeschränkt und Denkweisen zu Dogmen werden. Heute ist der Kapitalismus unsere Religion geworden und alle beten das Geld an und tun alles dafür, um in diesem System zu funktionieren.

An einen Gott glaube ich nicht, schon gar nicht an einen, der richtet. Ich halte eh nicht sehr viel von glauben. Wer glaubt, ist sehr manipulierbar. Man sollte lieber lernen und spüren. Ich weiss, dass mein Mann sich im All aufhält, weil ich es in einer Vision erfahren habe, also gespürt, ja sogar erlebt habe. Aber ich masse mir nicht an zu glauben in welcher Form. Vielleicht ist er ein Alien oder hat eine Form angenommen, die die Menschheit noch gar nicht entdeckt hat. Ich bin aber sicher, dass ich ihm wieder begegnen werde. Was mir am meisten Angst macht, ist die Zeit. Ich habe so eine Vorahnung, dass es vielleicht Millionen von Jahren dauern könnte. Das wissen wir ja alles nicht. Ich hoffe, es geht schneller, denn ich bin ein ungeduldiger Mensch.

Kann man alles auf dem Album auf den Tod meines Mannes beziehen? Ich schreibe immer aus der eigenen Erfahrung und einer künstlerischen Intuition heraus, und dann versuche ich, die Form so zu gestalten, dass sie für andere zugänglich wird. Bei diesem Album habe ich ganz besonders darauf geachtet, dass es weder eine Nabelschau noch triefig wird. Das könnte einige Leute enttäuschen, die vielleicht weinen wollen mit diesen Songs. Ich verweigere mich dem, kann mir aber vorstellen, dass mein nächstes Album das traurigste meines Lebens wird. Einfach weil es dann niemand mehr von mir erwartet. Ich hasse es, Erwartungen zu erfüllen.

Mein Plan war, mit ‘Greetings to Andromeda.Requiem’ etwas zu kreieren, das uns als Band selber überrascht. Als mein Entschluss feststand, ein Requiem zu schreiben, habe ich der Band als erstes angekündigt, sie sollen alle Instrumente, die sie beherrschen, zur Seite legen und neue in die Hand nehmen. Ich wollte eine Stimmung schaffen, wie wenn Kinder auf den Spielplatz rennen, um das Leben zu entdecken. Es ist uns anfangs schwergefallen und dann plötzlich doch gelungen.

Das Harmonium ist für mich neben der Klarinette das Instrument, das am meisten weint. Es vermittelt Assoziationen wie beispielsweise die Sonntagsschule oder die kleine Kirche auf der Prärie in einem Westernfilm. Da die meisten Harmonien aber ältere Ladies sind, sind sie oft etwas quietschig oder verstimmt. Die Mischung aus dieser unglaublich lieblichen Emotionalität und dem derben Gegiekse fand ich perfekt für unser Album. Ausserdem wollte auch ich mich an ein neues Instrument setzen, das ich noch nicht spielen konnte. Tasten hatte ich vorher noch nie gespielt.

Das Album enthält viele perkussive Elemente. Wir stehen auf guten, analogen, räumlichen Drumsound, auf fette Bässe einer echten Bassdrum. Fisch ist ein emotionaler Drummer, ich mag sein Spiel sehr, er definiert viel von unserem Sound. Fisch spielt dem Gesang nach, klangvoll; er spielt mutig, weil er sich nicht nur ans Timing klammert. Wenn man den Leuten einen Beat gibt, bleibt vieles offen, solange es noch keine Harmonie und Phrasierung hat. Mit dieser Offenheit spielen wir absichtlich.

Für das Video von ‘Wanna Be With You’ verwendete ich eine Eiskunstlaufkür von John Curry, dem Weltmeister und Olympiasieger von 1976. John Curry hatte einen Traum. Er wollte Balletttänzer werden. Sein Vater kam mit diesem Wunsch nicht klar, aber Eiskunstläufer lag noch knapp drin – das war der Kompromiss, der ihm aufgezwungen wurde. Ich bin zufällig auf Curry gestossen und ich habe dann alles von ihm angeschaut. Ich sehe bei ihm nicht nur Eiskunstlauf oder Sport oder Tanz, ich sehe auch nicht den Ehrgeiz, den viele Sportler oder Künstler so unangenehm macht. Ich sehe, wie er jede Zelle seines Körpers dazu benutzt, seine Seele sichtbar zu machen. Er läuft den ganzen Schmerz ab in seiner Kür; er bringt mich zum Weinen damit, weil er so ernsthaft ist und gleichzeitig so leicht. Er macht keine hohen Sprünge, aber sein Körper spricht zu mir in einer Sprache, die ich verstehe. Mein Herz könnte zerbersten, wenn ich ihn laufen sehe. Vor Mitgefühl.

Wenn man in Trauer ist, kann man dem Verstorbenen so nahe sein, dass man sich dort geborgener fühlt. In ‘Travel with Starlight’ gibt es dafür die Zeile The dead are so close, closer than the living. Das Unverständnis der Überlebenden oder Aussagen wie ‘Ja, gäll, es isch schlächts Wätter, da isch mer halt truurig’ helfen dann zusätzlich mit, dass man sich isoliert und einsam fühlt und sich wünscht, auch dort zu sein, wo der Verstorbene ist. Es gibt einige Tabus in unserer urbanen Gesellschaft. Gefühle wollen nicht aufgefangen werden, vielleicht auch deshalb, weil sie fast nicht zum Aushalten sind. Aber für den Trauernden ist vieles zum Aushalten, was Nähe herstellt, auch die Sehnsucht nach der anderen Seite.”

NADJA ZELA: “Greetings to Andromeda. Requiem”, out (Patient Records).

* GUESTLIST: Kurt Werren lebt in Bern, der Libanon ist seine zweite Heimat. Er hat hat ein Flair für fruchtbare Begegnungen und ein Näschen für spannende Frauen und Männer sowie gute Musik. Er betreibt den englischsprachigen Blog The Open Enso und gründete zusammen mit seiner Frau May Werren die Künstler*innen-Agentur Putzi Productions.

(Titelbild: Nik Spoerri)

 

 

 

Tags:

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.