Der beste Lärm der Welt

Campino (oben), Publikum (Mitte), Rockette Dominique (unten, im Schuss).

Campino liest mit verschiedenen Stimmen aus “Hope Street – wie ich einmal englischer Meister wurde” und singt traurige Lieder. Und ich lerne die Toten Hosen nicht lieben, aber ein wenig kennen.

Ich sags gleich am Anfang: Am Ende, bei “Eisgekühlter Bommerlunder” bin ich geflohen. Doch der Rest des Abends mit Campino und Kuddel (von den Toten Hosen, für alle, die wie ich nicht so totenhosenaffin sind) war grossartig. 

Campino, also Andreas Frege, 1962 in Düsseldorf geboren und Frontmann dieser Punkband, wuchs als Sohn eines deutschen Vaters und einer englischen Mutter mit fünf Geschwistern auf, verbrachte viel Zeit bei seiner Verwandtschaft in England und ist seit Kindheit glühender Fan des FC Liverpool. Darüber hat er ein Buch geschrieben, und darüber sprach er am Freitag vor einer Woche im Garten der Mühle Hunziken. 

Ja, mein Erlebnisbericht kommt reichlich spät. Aber ich hatte, habe, Hemmungen – ich kann die Toten Hosen nicht einordnen, gern lästere ich, dass es die Idee von 20-Jährigen von Punk sei. Natürlich sind sie mehr. Aber halt einfach nicht meins.

Vor vielen, vielen Jahren hat mir ein Welscher, mit dem ich regelmässig Nächte am Genfersee verbrachte (er kiffte, ich trank billigen Rotwein aus der Flasche, wir fühlten uns very punk), gestanden: Er habe, bis ich ihm im Rahmen eines Deutsch-Französisch-Wörterspiels widersprach, gedacht, die Band heisse die Toten Hasen

Daran denke ich, wenn ich Campino höre. Und daran, dass ich einmal auf dem Gurten oben von irgendeinem Turm aus entsetzt beobachtete, wie sich der Sänger in die Menschenfluten stürzte und darin verschwand. Mir wurde heiss vor Sorge, obwohl es gefühlt mein 300. Open Air war, und ich wusste, dass solche Dinge fast immer gut ausgehen.

Item. Vor ein paar Monaten las ich Campinos Autobiografie, mein erstes Fussballbuch, gut, ich hatte mal Nick Hornby (“Fever Pitch”) quergelesen, aber ich erinnere mich an nichts. Campinos Werk (es ist dick!) fand ich … ziemlich nice. Und ich konnte fortan dann und wann Liverpool-Weisheiten einstreuen, wenn ich mit Hardcorefans (irgendeines Clubs) sprach, das machte Eindruck. 

Dann also dieser Abend in der Mühli, ich hatte mich so gefreut – ich mag Lesungen, ich mag Konzerte. Aber keine Menschen. In Massen. Das war schon vor der Pandemie so, das Gefühl hat sich nur einfach intensiviert. Die Massen an diesem Abend war thank God ein Mässeli, es war da, es verteilte sich aber gut, draussen im Garten. Marcenique waren auch da, mein Gott, war ich froh, so zwischen all den Hosenfans, und ich hatte Freude, es war so lange her! 

So schön, wieder mal mit Menschen zu sprechen (Verena war auch da, sie ist ja quasi Hausfotografin der Mühli) vor einem Event – es liegt diese klirrende Erwartung in der Luft, und das Trinken von Sekt (Dominique) oder gar Bier (alle andern) aus Plastikbechern wird plötzlich zu etwas, das man auch gerne tun würde. Ich gerne tun würde. Aber ich trinke keinen Sekt und Bier auch nicht, und ich bin mit dem Auto da. 

Ich nehme dann einen Bommerlunder, hihi. Sicher nicht!

Aber es geht ja jetzt um Campino. Und der ist voll der Märchenonkel. Er verstellt die Stimme (wenn er seine Frau nachahmt, ists am besten), redet über das Wetter und das Bier und liest lustige Geschichten aus seinem Buch vor. Sagt Dinge wie: “Das ist der letzte Abend einer ganz feinen Tour.” “Kuddel macht sich nichts aus Fussball, aber er ist der erste, der nach einer Niederlage (von Liverpool) anruft, deshalb habe ich ihn mitgenommen.”

Kuddel macht sich nichts aus Fussball. Deshalb darf er an dieser super Lesung teilnehmen.

Er schluckt eine Mücke. Und “spült mit Mühlibier nach”. Er spielt Wreckless Eric (“Whole Wide World”) – “an meine Mutter denkend” – und spätestens dann verliebt sich das gesamte Publikum in diesen Sänger. Der heute Lieder spielt, die er “bei den Toten Hosen nicht spielen darf”. Er macht sich auch über die Gesichter lustig, die so aussehen, als ob die Personen dahinter denken würden: Geht das noch lange so weiter? Mit diesen Fangesängen? Und Johnny-Cash-Songs und so, die er und Kuddel zwischendurch spielen? “Das ist erst der Anfang”, sagt er. Und sinniert darüber, dass man sich auf der anderen Seite trifft. Dort, wo seine Eltern jetzt sind.

Campino redet viel über seine Eltern. Sehr viel. Es ist schön. Und darüber, dass er bald 60 sein wird. Und über Fussball. Und Fangesänge, diesen “schönsten Lärm der Welt”. Er lobt das Publikum (“ihr seid wie eine schön gestimmte Gitarre”) und bemerkt dann selber “jetzt schleimt es in mir über”.

Das tut es in mir langsam auch. Ich bin so voller Liebe für diese beiden Männer, und dass mich die Hosen kalt lassen, ist völlig egal, ich schlucke sogar leer und will Tränen verdrücken bei “Tage wie dieser”, über das ich mich immer lustig mache. Meine Fresse! (Ich fang schon an zu denken wie ein Hosen-Fan!)

Der Zauber dieses Abends (bin nur kurz versucht, zu schreiben “ein Abend wie dieser”, wirklich nur kurz!) ist ganz allein Campino zu verdanken. Und zwar, weil er seine Seele offen legt. Es ist rührend, wie er versucht, das Ganze hinter einem Fussballbuch zu verstecken, weil es doch etwas ganz anderes ist: Campinos Geschichte, und diese Geschichte, die ist fucking emotional.

Anyways. Die Lesetour ist um, und drum kann ich nur sagen: Lest doch einfach das Buch*. Und fühlt euch Campino nah, scheissegal, ob ihr die Hosen mögt oder den Liverpool FC oder Punk. Es spielt überhaupt keine Rolle.

Ich habe noch etwas gemerkt am Abend wie diesem: Die Mischung aus Lesung und Fast-unplugged-Konzert ist für mich der schönste Lärm der Welt.

 

*Bestellt es in unserem Shop, wenn ihr mögt, wir haben noch ein signiertes Exemplar, first come first serve.

Alle Fotos: Rockette

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