Sziget I: Töpfern muss ich nicht mehr, ich war an der Steiner Schule

Hätte ich nur noch wenig Zeit zum Leben, ginge ich ans Sziget. Kaum sonst wo lassen sich so viele mögliche Bucket-List-Punkte abhaken wie an diesem Musikfestival in Budapest. Bungee-Jumpen zum Beispiel, sich ein Tattoo stechen lassen, einmal halbnackt unter Tausenden von Leuten rumlaufen, selbst einen Zuckerstock herstellen oder töpfern.

Schon mal vorneweg. Ich habe nichts davon gemacht (höchstens vielleicht das mit dem Halbnackt – es waren 36 Grad. Töpfern muss ich nicht mehr, ich war in der Steiner Schule.)

Zuckerstöcke selbst gemacht.

Trotzdem war das Sziget ein einmaliges Erlebnis. Ed Sheeran haben wir zwar verpasst. Wir kamen erst in der Halbzeit auf die Donauinsel (Sziget heisst Insel).

Und gerade dann, als es viel zu heiss war, um Konzerte zu hören. Obwohl auf der einen oder anderen der 60 Bühnen schon früh am Tag etwas los war, gingen wir zuerst mal ewig übers Festivalgelände an den Donaustrand. Wir liefen an Campingzelten vorbei, die einfach überall rumstanden. Wir gingen neben Marktständen durch, dem DJ-Colosseum und Bacardi-Dom (ja, den gibt’s auch am Sziget) und am Zirkuszelt mit Jonglierenden entlang. Wir sahen Leuten, die zum Teil Coachella-mässig gekleidet waren, zum Teil funktional halbnackt. Fast alle hatten sie Glitzer im Gesicht.

Füdlä.
Am Donaustrand.

Nach der Abkühlung auf den Liegestühlen in der Donau assen wir Burger und Pad-Thai. Zum Dessert Chimeny-Cakes (eine ungarische Spezialität aus Zopfteig, die über Kohle gebacken wird und auf Deutsch scheins Baumstriezel heisst). Als ich gerade ein Stück davon in den Mund stecken wollte, streichelte mich plötzlich etwas Pelziges. Ich schrie. Hinter mir stand eine gigantische Ziege. Ein Kamel kam auch, von Gauklern mechanisch angetrieben, zog es unter orientalischen Klängen davon. Ob das Kamel wohl grösser ist als ein echtes? rätselten Teenies neben mir. Ja war es.

Ja, das Kamel ist ziemlich gross.

Jetzt wollten wir aber endlich ein Konzert.  Aber ein nicht zu Anstrengendes. Also gingen wir zur Jazz-und-Klassikbühne. Mit neuen Schuhen (die alten gingen auf dem Marsch kaputt. Zum Glück gibts am Sziget auch Schuhläden und zu den neuen pinken Adiletten offerieren sie einen Apfel-Slush mit Vodka). Im Gras liegend lauschten wir einem Streicherquartett, das ein Michael-Jackson-Medley geigte. Eigentlich ganz cool, Smooth Criminal mit Vibrato.

Als es gegen Abend kühler wurde, zog es die Leute vor die Hauptbühne zu Post Malone. Wir schafften es ohne VIP-Bändeli ins erhöhte VIP-Zelt und blickten über alles. Wir waren sicher fast ein Kilometer von der Bühne entfernt (okay, wahrscheinlich nicht) trotzdem war der Sound wie in einem Club. So laut und perfekt gemischt. Getränke-Bestellen fast unmöglich. Das war auch nicht nötig, vor lauter Beats, Posty auf der Bühne und all den Leuten war man schon ganz benommen.

Ziemlich viele Leute am Post-Malone-Konzert.

Sowieso war ich bereits am ersten Abend so voller Liebe. Im Himmel hingen farbige Papierschnipsel, Ballone in den Bäumen und Lichterketten über den Wegen. Die Stimmung war so friedlich, so entspannt, alle liefen rum, wie sie wollten, man blieb anonym und doch irgendwie nah. Als wäre das Sziget eine angenehme Grossstadt.

Zudem habe ich das Festival auf der «Island of Freedom» als Gegenstatement zur aktuellen politischen Situation in Ungarn gelesen. Der rechtskonservative Regierungschef Viktor Orbán soll momentan Menschenrechte systematisch missachten und fährt eine Politik der Intoleranz. Seine Fidesz-Partei gilt als Hauptgegner der LGBT-Bewegung.

Am Sziget ging es dagegen um Liebe und Toleranz, man trug Love-is-Love-Bändeli, jeden Tag gabs eine Rede zu Menschenrechten, zur Gleichheit hetero- und homosexueller Liebe und zur Weltverbesserung ganz Allgemein (wenn Greta nicht auf einem Schiff gewesen wäre, wäre sie wohl auch noch gekommen). Da die Atmosphäre diesem Geist entsprach, war alles sehr stimmig.

 

Ich jedenfalls gehe – selbst wenn ich noch lange zu leben habe – sofort wieder ans Sziget.

Und im nächsten Text gibts weniger Politik und mehr Musik.

 

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