Wir waren uns einig, Misses Poe und ich, dass wir im Feierabendbier seriöser arbeiten. Und tatsächlich, für Ende November wurde spontan ein Konzert im Rockette-Büro geplant. Die Qualität des Interviews ist ja dann irgendwie nebensächlich.
40 Minuten und 42 Sekunden des Gesprächs zwischen Neil Nein, Rave Dave und mir liegen zwar auf Band vor. Und sie sind nicht uninteressant, geht es doch um unsere eigene Suizidgefährdung und in dem Zusammenhang um die Frage, ob das Leben nach 75 überhaupt noch lebenswert ist. Ich habe wirklich versucht, positive Gegensteuer zu geben, mit später Liebe zu argumentieren und der vielen Zeit, die man dann hat, um gute Bücher zu lesen und Filme zu schauen, sofern man noch was sieht. Aber das Winterthurer Duo hat sich vorgenommen, dem Leben vorzeitig ein Ende zu setzen. Und zwar auf der Bühne, als Berühmtheiten, also im allerbesten Moment – find what you love and let it kill you.
“Es geht uns nicht darum, möglichst weird zu sein”, sagt Sänger Neil Nein, von dem ich – jetzt kann ich es ja mal sagen – lange vor der ersten Begegnung geträumt habe, er sei mein bei der Geburt getrennter Zwillingsbruder. “Wir haben wirklich schon an Selbstmord gedacht.” Gerade als ihre Debüt-EP “War Crimes” entstanden ist, seien sie beide “ziemlich low” gewesen.
Ich erinnere mich, dass Neil Nein und Rave Dave, die beide auch in andere Musikprojekte involviert sind, erwähnten, ursprünglich etwas anderes als “War Crimes” geplant zu haben. Sie wetteten, wer von ihnen schneller ein Rap-Album in seinem Dialekt (Thurgau/Rheintal) aufnehmen kann. Doch als sie merkten, dass ihre Einfälle zu gut waren, um sie an ein Spassprojekt zu verschenken, kamen sie zusammen und ja, alles, was dann mit den fünf gemeinsamen Misses-Poe-Songs zu tun hat, ist jetzt eben nicht mehr auf meinem Handy gespeichert. Dafür dieses Boomerang von Neils Schuhen.
Auch wenn in den Texten von Erhängen, von Waffen und Dunkelheit die Rede ist: Misses Poe sind keine hoffnungslosen Fälle. Im Gegenteil: “Kreativität kann nie destruktiv sein”, sagt Neil Nein gleich selbst. Und er hat recht. Man muss sich das in der Depression entstandene, am besten als Synthie-Pop oder Elektro-Punk zu bezeichnende Soundgewitter einfach mal genauer anhören. Morbide Schlagwörter und düstere Gedanken stechen hier nicht heraus, sondern ordnen sich fast schon brav einer viel höheren Macht unter. Jener der Gefühle, der Musik, die stetig wächst an der Lust und der Leidenschaft, am Ideenreichtum und der Umsetzungsfreude, bis sie im letzten Moment den Sargdeckel lupft und sich wie regenbogenfarbene Animalprinteinhornkotze über die Erde ergiesst und aufs Neue Laune macht. Auch Rave Dave kommt zur Besinnung: “Eigentlich machen wir doch viel zu gerne Musik, um sterben zu wollen.”
MISSES POE: “WAR CRIMES”, out
KONZERT IM ROCKETTE-BÜRO: 30. November 2018, 20:30, Monbijoustrasse 24, 3011 Bern
(Bild: Misses Poe)