Meira Loom oder: man ist, wie man heisst

Bei Rockette ist erlaubt, was sonst nicht üblich ist: Unser Gastautor, Putzi Productions-Mitbegründer Kurt Werren*, schreibt über eine seiner Künstlerinnen. Über Meira Loom und deren Debütalbum “Letting Go”.

Irgendeinmal wurde aus dem Loser Jimmy McGill der gerissene Freestyle-Anwalt Saul Goodman; das war so um 2005 herum, im Prequel der TV-Serie “Breaking Bad”. Irgendeinmal wurde aus Lizzy Grant vom Trailerpark die Sängerin Lana Del Rey. Das war circa 2011, vor ihrem musikalischen Durchbruch mit dem Album “Born To Die”. In einem Interview für Vogue sagte sie dazu: “Ich wollte einen Namen, nach dem ich meine Musik formen konnte. Lana Del Rey tönte nach einem glamourösen Strand und es kam gut über die Lippen.”

Und heute, im Jahre 2020, wird aus Mei-Siang Chou, die als Sängerin schon hinter Bobby McFerrin und Anastacia auf der Bühne stand, die Solokünstlerin Meira Loom, die die Welt mit eigenen Songs im Soul- und Jazz-Register beglückt und ohne Übertreibung als eine der besten Stimmen der Schweiz gelten darf (dies schon mal vorneweg). Doch wer ist eigentlich Meira Loom? Und wie kommt jemand dazu, sich so zu nennen?

Wir starten unsere Suche nach Meira Loom auf www.baby-vornamen.de, einer Webseite für – klar – Babynamen. Meira, heisst es hier, ist diejenige, die aus dem Licht kommt, die Erleuchtete. An anderer Stelle wird Meira mit Stern des Ozeans gleichgesetzt oder ganz einfach als Kurzform des spanischen Maravillosa gesehen und mit “wunderbar” übersetzt. Besucher der Webseite assoziieren den Namen Meira mit modern, attraktiv und erfolgreich. So weit so gut, mit ihrem Vornamen ist Meira Loom auf der sicheren Seite. 

Bei Loom wird die Sache komplizierter. Im Englischen steht Loom für etwas Bedrohliches, das heraufzieht und dann über einen hängt. Gewitterwolken zum Beispiel, oder sogar ein UFO. Aber: Wer hätte etwas dagegen, wenn ein Stern des Ozeans über ihm oder ihr hängt? “Loom kombiniert mit Meira fand ich von der Vokal-Farbkombination sehr stimmig (ei & a & oo)”, sagt Meira Loom dazu. “Es war also eher eine akustische Komposition als eine inhaltliche. Genau wie Musik. Zudem ist Loom auch eines meiner Lieblingslieder von Ani di Franco.”

Als Kind hat Mei-Siang Chou im Garten stundenlang Hürdenlauf geübt und ist im Weitsprung 5,1 Meter gesprungen (und das als Linksfüsserin). Andere biographische Fakten aus ihrer Jugend sind heute nicht mehr relevant, um Meira Loom zu erklären. Hat sie als Kind den Handstand gekonnt? War sie gut in Grammatik? Hat sie keine Folge der Mini Playback Show verpasst? Was würde das heute noch zählen?

Dieser Tage lebt Meira Loom in Bern, ist Sängerin und Musikerin und findet ihren Ruhepuls, wenn sie unten an der Aare steht und in die Tiefe des Wassers schaut. Sie weiss, was sie kann; sie traut sich etwas zu. Das war nicht immer so. Selbstzweifel haben sie auf ihrem Weg begleitet und sie gehindert, ihr volles Potential auszuschöpfen. Natürlich, Kunst zu machen ist immer ein Risiko, das weiss auch Meira Loom. Wer kreativ ist, exponiert sich, stellt sich der Kritik und riskiert, nicht allen zu gefallen. Doch sie hat die Absturzängste hinter sich gelassen, ist mutig geworden und will hartnäckig ihre neu definierten Ziele anpeilen. Anstatt ins Café Marta in Bern dürfte es nun auch bis zur Royal Albert Hall in London gehen. Wie bei Lana Del Rey wird die Kunstfigur Meira Loom zunehmend zu einer realen Figur, zur einzigen Figur. Der Name wird zum Programm.

Der Grund für Meira Looms Verwandlung ist ihr Debütalbum “Letting Go”, das am 28. August erschienen ist. Das Album enthält elf sorgfältig arrangierte Tracks, die sie mit einer Ausnahme selber geschrieben hat. Wo Lana Del Reys “Born To Die” dem Titel entsprechend melodramatisch und in gewisser Weise traurig daherkommt, ist “Letting Go” eine Aufforderung zu einem selbstbestimmten Leben. Meira Loom singt vom Loslassen und vom Gehenlassen und von toxischen Beziehungen und überholten Obsessionen, die sie hinter sich lässt. Die früheren Komfortzonen sind heute wertlos; sie sind weit über ihrem Ablaufdatum. 

Meira Loom hat das Album zuhause in ihrem Studio produziert. Sie hat das Baby fast ganz alleine auf die Welt gebracht – ist aber deswegen nicht zu einer alleinerziehenden Mutter geworden. Das Kind und seine Mutter werden von verschiedenen Seiten umsorgt und verleben eine durchaus glückliche Zeit. Klar, an der einen oder anderen Stelle hätte man sich das Album gerne etwas reichhaltiger instrumentiert gewünscht. So ist “Letting Go” vor allem ein Statement für Meira Looms vielseitige Stimme geworden, die kraftvoll und ungezügelt brennen kann, um dann gleich darauf sanft und samten dem Ohr zu schmeicheln. “Letting Go” ist mit den “moyens de bord” entstanden, wie die Franzosen sagen, mit den Mitteln, die zur Verfügung stehen. Doch wenn jemand von zuhause auszieht, so wie nun Meira Loom, die Mei-Siang Chou hinter sich lässt, zieht er in der Regel auch nicht gleich in eine Fünfzimmer-Wohnung mit zwei Badezimmern. Das muss sich entwickeln.

“There is enough for everyone – including myself” beschwört Meira Loom auf ihrem Debütalbum, und diese Zeilen stehen sinnbildlich für ihren neuen Mindset. Es gibt genügend Talent auf der Welt und Meira Loom hat eine grosse Menge davon abbekommen. Es gibt genügend Liebe auf der Welt und viel davon geht nach Bern: wegen Meira Loom und für “Letting Go”.

Meira Loom: “Letting Go”, out (Groovefactory)

 

* GUESTLIST: Kurt Werren lebt in Bern, der Libanon ist seine zweite Heimat. Er hat hat ein Flair für fruchtbare Begegnungen und ein Näschen für spannende Frauen und Männer sowie gute Musik. Er betreibt den englischsprachigen Blog The Open Enso und gründete zusammen mit seiner Frau May Werren die Künstler*innen-Agentur Putzi Productions.

 

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