Es gibt Leute, die wissen immer, welche Band gerade angesagt ist. Sobald irgendwo eine neue obercoole Schweizer Künstlerin das Publikum anrappt, drei bärtige Jungs zur Gitarre greifen, oder ein genderfluides Wesen eine sphärische Stimme erhebt, wissen die das. Meine Freundin Julia zum Beispiel behauptet von sich, alle Bands zu kennen. Und so ist es meistens auch.
Das heisst nicht, dass ich keine Musik hören würde. Ich höre ständig Musik, aber im Gegensatz zu den Julias dieser Welt, kann ich meine Playlists kaum irgendwo auf einer lässigen Dachterrasse an einer lässigen Grillparty – zum Glück hat der Bundesrat diese verboten – laufen lassen. Weil mein Sound meistens einfach höchst uncool ist und ich mich ein bisschen dafür schäme.
Musik, für die ich mich früher schämte
In Teenagerjahren ist Dabeisein bekanntlich alles. Zu Freundeskreis, Sektion Kuchikäschtli und Buena Vista Social Club wurden die ersten Zigis geraucht und im Skilager getanzt. Und was tat ich? Hörte auf meinem Minidiscplayer die Beatles. Ich konnte das White Album auswendig mitsingen, bevor ich Englisch konnte. Die Texte machten für mich auch mit wachsenden Englischkenntnissen nicht mehr Sinn, aber die Musik begeisterte mich.
Leider fanden meine Gspänli die Beatles mega peinlich. Der einzige Vorteil war, dass ich so tun konnte, als ob es sich um eine Erbsünde handle, also dass meine Eltern mich mit ihrem Beatles-Wahn verdorben hätten. Dabei besassen sie keine einzige Platte. Heute höre ich die Beatles immer noch sehr gern und oft und ich möchte mich an dieser Stelle offiziell bei allen Mitgliedern entschuldigen: Eure Musik muss nie jemandem peinlich sein.
Musik, für die ich mich heute schäme
Heute ist mein Schamgefühl weniger ausgeprägt, trotzdem habe ich die Musik für diese lässige Grillparty immer noch nicht. Viele Lieder in meinen Playlists würde ich nicht mit einem grösseren Publikum teilen wollen, weil ich sie eben ziemlich uncool finde. Aber eben auch gut! Zwei Seelen sind in meiner Brust oder um es etwas weniger poetisch auszudrücken: Ich bin Gollum mit Kopfhörern. Ich mag Songs mit Melodie, Harmonien, zum Mitsummen. Coole Leute mit dem gleichen Geschmack würden jetzt wohl die neusten Folkbands aus den Rocky Mountains oder das charmante Popduo aus irgendeiner Schweizer Stadt hören. Die kenne ich leider nicht, denn mein Problem ist, dass ich Radio SRF 1 höre. Beziehungsweise, dass die Lieder, die zwischen den Morgennachrichten gespielt werden, in meinem Kopf hängen bleiben.
Nichts gegen SRF 1, im Gegenteil: Dieser Mix aus Oldies und Italopop trifft offenbar genau meinen Geschmack. Leider. So lassen sich in meinen Playlists Songs wie „Heart of Gold“ von Neil Young oder „Tu“ oder „Gloria“ von Umberto Tozzi finden. Wenn ich traurig bin, höre ich gern „I Can’t Tell the Bottom From the Top“ von The Hollies. Ich habe auch modernere Stücke wie „Faded“ von Alan Walker oder AnnenMayKantereit und The Kooks viel länger gehört, als mir lieb ist. Natürlich erst, als alle anderen sie längst für passé befunden haben. Kürzlich habe ich zum Kochen „Hecht“ gehört.
Der Allerpeinlichste
Der peinlichste Künstler und der Beweis dafür, dass mein Musikgeschmack unglaublich basic ist, ist dieser hier. Dass ich den mag, gebe ich nur sehr ungern zu. Okay, hier kommt es. Ich mag James Blunt. Nicht so fest, dass ich an seine Konzerte gehen würde. Aber so, dass ich mich freue, wenn eines seiner Lieder am Radio kommt. Zusammen mit meiner Schwester. Das war unser dirty secret, wir haben uns jeweils aufgeregt geschrieben, wenn er ein neues Lied herausgebracht hat, das wir selbstverständlich gut gefunden haben. Und wir waren uns immer bewusst, dass wir das nie öffentlich zugeben könnten (sorry, Sis). Weil es einfach dermassen uncool ist, James Blunt cool zu finden. Zu seiner Verteidigung muss man sagen, dass er auf Twitter recht lustig ist und auch mit seinem unhippen Image kokettiert. Er schrieb zum Beispiel während des Lockdowns, dass er im Gegensatz zu anderen Künstlern uns einen Gefallen tue und kein Home-Concert geben würde. Schade.
So, jetzt ist es raus. Ich wäre gern cool, aber mein 0815-Musikgeschmack lässt es nicht zu. Soforthilfe in Form von Musiktipps bitte auf Instagram an @janinkanin.

* GUESTLIST: Janine ist Journalistin und unsere Gastautorin. Sie tut so, als sei ihr Musikgeschmack uncool, dabei war sie es, die uns ans Konzert der Oberhipsterband Friska Filjor geschleppt hat und dann gleich einen saucoolen Text darüber geschrieben hat. Und James Blunt mögen wir auch, imfall.