Genial und zu Grunde gerichtet

Ich kanns kaum erwarten, dass bald Weihnachten ist. Nicht, weil dann dieses mühsame 2020 auch bald zu Ende ist, sondern, weil ich wieder weiss, welches mein Lieblingsweihnachtslied ist und es dann noch exzessiver hören kann als jetzt schon. Bei aller Liebe zu John Lennon ist es nicht Happy Xmas (War is Over). Und auch bei aller Liebe zu Pegasus ist es nicht Back on Christmas (ihr kennt den Song vermutlich nicht, obwohl er vor 13 Jahren mal in der Schweizer Hitparade war. Auf Platz 61. Immerhin. Wahrscheinlich vor allem, weil die Bandmitglieder ihre Mütter damals nötigten, die Single stapelweise zu kaufen). Aber genug davon. Denn hier gehts nicht um Pegasus. Es geht um The Pogues. Und ihren grössten Hit “Fairytale of New York” finde ich zurzeit den besten Weihnachtssong überhaupt.

Ich kenne den Song schon lange, aber neulich habe ich einen Dokumentarfilmüber Shane MacGowan gesehen. Den Frontsänger von The Pogues. Der hat mich wieder daran erinnert und vor allem wahnsinnig berührt. “Crock of Gold – A Few Rounds with Shane Macgowan” heisst er und lief am Zurich Film Festival. Er beginnt mit der Kindheit MacGowans auf einem Bauernhof in Irland und erzählt, wie er dort mit vier Jahren, wie er selbst sagt, zum ersten Mal Wein und etwas später Whisky getrunken hat. Er sei so besoffen gewesen, dass er die Schweine und Hühner auf der Farm sprechen hörte.

shawn mcgowan
Eine der Comic-Szenen aus Crock of Gold: Shane soll schon als Kind getrunken und geraucht und natürlich zu irischer Musik getanzt haben.

 

Gitarre statt Pinsel

Als MacGowan acht Jahre alt war, verliess er mit seinen Eltern aus wirtschaftlichen Gründen sein Heimatland und ging – wie viele Iren zu dieser Zeit – nach England. Dort erlebte er Ausgrenzung und Rassismus. Er war unglaublich wütend, prügelte sich, nahm Drogen und trank. Schon als Teenager musste er in eine Entzugsklinik. Dort musste er zur Maltherapie. Aber wie seine Schwester im Film erzählt, malte er so schreckliche Bilder, dass die anderen Insassen Angst bekamen. Also durfte er nicht mehr malen und musste Gitarre spielen.

crock of gold
Geiles Plakat: Der Filmtitel basiert übrigens auf einem Lieblingstext MacGowans.

In der Musik fand er die Möglichkeit, seine Wut zu kanalisieren, und als er Punk (etwa The Clash, die Sex Pistols) entdeckte, fühlte er sich verstanden.

Da er sich noch immer als Ire in der Fremde fühlte, begann er diesen Punk mit traditionellen Melodien und Instrumenten aus Irland zu mischen und schuf den einzigartigen Pogues-Stil. Damit traf er den Nerv der Zeit und «saved Irish music», wie seine Schwester im Film behauptet. Die Zeit in der Band muss verrückt gewesen sein. Wie krass ist im Buch “Here Comes Everybody” von James Fearnley, Gründungsmitglied der Pogues und Akkordeonist, nachzulesen (bei Bookette bestellbar).

Neue Zähne

Im Film spricht MacGowan davon, dass er die Band verlassen wollte, es aber nicht schaffte. Schliesslich warfen ihn die andern Mitglieder raus, weil er regelmässig so betrunken war, dass er an Konzerten zusammenbrach. Ohne ihn hatte die Band nicht mehr wirklich Erfolg.

Trotz seiner Exzesse war MacGowan also unabdingbar und sein Schaffen genial. MacGowans Landsmann Rea Garvey beschreibt ihn als einen der besten Songwriter ever (das hat uns Rea selbst erzählt. Er ruft uns manchmal an, aber dazu ein andermal mehr).

Umso tragischer und verstörend ist es, im Film zu sehen, wie sehr sich MacGowan mit Drogen und Alkohol zu Grunde gerichtet hat.

shawn mcgowan, the pogues aus dem film crock of gold

Er kann seinen aufgedunsenen Kopf kaum mehr gerade halten und selbst zum Lachen wirkt er zu schwach, so dass er nur noch durch die Zähne – die er im Laufe seines Lebens offensichtlich erneuert hat, denn zeitenweise hatte er gar keine mehr – haucht.

Johnny war auch da

Obwohl man kaum versteht, was MacGown sagt, hat er einiges zu erzählen. Das hat auch Johnny Depp, ein langjähriger Freund MacGowans, erkannt und produzierte den Film mit. Johnny war dann übrigens auch in Zürich und kam schnell vorbei. Shane war nicht da. Der war vermutlich zu schwach. Schade. Ihn hätte ich nach dem Film noch fast lieber gesehen als Johnny. Und ich werde besonders an Weihnachten an ihn denken.

Johnny Depp war auch da. Er hat den Film mitproduziert. Auch an ihm ging der Zahn der Zeit nicht spurlos vorbei.

Und hier noch der Song:

 

 

Alle Bilder: Magnolia Pictures, ausser das von Johnny: Rockette

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