Deine Schönheit bringt mich zum Weinen

Gastautor Kurt Werren über das Album “Gold” von Jasmin Albash: “Wer ihr zuhört, fühlt eine Erhabenheit in ihrem Gesang, eine innere Ruhe, und spürt die Position der Stärke, aus der heraus sie ihre Musik macht”. Er hat mit der Basler Singer Songwriterin gemailt.

Das grossartigste Wort in der englischen Sprache ist das You. Dieses Wort ist auch der Grund, wieso es in den amerikanischen Fernsehshows im allgemeinen lockerer zugeht als hierzulande. Wo bei uns Interviewer und Moderatorinnen immerzu den Spagat machen zwischen Du (man ist nahe am Gesprächspartner) und Sie (man stellt sich mit den Zuschauern in eine Reihe), haben ihre englischsprachigen Kolleginnen dieses Problem nicht. Bei ihnen ist alles you und keiner fühlt sich dabei ausgeschlossen.

Bei Jasmin Albash und den Texten ihres Albums “Gold”- das erste unter ihrem eigenen, richtigen Namen – gibt es viele you. Wer oder was genau gemeint ist, ist nicht immer ganz klar: Eine Person? Eine Sache? Oder ist sogar Palästina gemeint, das Heimatland von Jasmin Albashs Vater, das sie erst in den letzten Jahren für sich entdeckt hat? Wer auch immer you ist: Über die Texte von Jasmin Albash kommt man ihm oder ihr sehr nahe; die Künstlerin nimmt uns an der Hand und führt uns durch ihre Welt, wie ein Sehender es mit einem Blinden tun würde.

Jasmin Albash nennt ihre Musik soulful electronic music, und genau so tönt sie auch. Der Soul kommt dabei zumeist von ihrer eindringlichen Stimme, die mit vielen Nuancen die verschiedenen Untiefen des menschlichen Bewusstseins hervorbringen kann. Jasmin Albashs Stimme wurde auf “Gold” mehrfach geloopt und vervielfältigt und Schicht um Schicht zu einem Klangturm aufgerichtet. Die Vorgehensweise erinnert an den Nahen Osten, und dadurch auch an Palästina, wo sich über die Jahre ein Kreislauf von Zerstörung und Wiederaufbau als trauriger way of life etabliert hat. Häuser und ganze Strassenzüge werden als Folge von Kriegen und anderen tragischen Ereignissen immer wieder zerstört, und das neue Haus wird dann gleich auf den Trümmern des alten gebaut, ohne vorher den Bauplatz vollständig geräumt zu haben. So entsteht eine Dichte der Materie, die sich auch im Klangbild von “Gold” wiederfindet.

“Gold” ist ein Album voller Metaphern und eine scheint besonders wichtig zu sein, kommt sie doch gerade in zwei Songs vor: my skin turns into gold. “Bevor ich das erste Mal nach Palästina reiste”, schreibt mir Jasmin Albash in einer Email, “sah ich in einer geführten Meditation, wie ich in dem Land meiner Vorfahren ankomme und ich mich sehr wohl dabei fühle. Ich sah meinen Körper in goldenem Licht erstrahlen. Daher kommt diese Metapher. Beide Teile, der schweizerische und der palästinensische, waren immer da, gehören auch beide gleichermassen zu mir, doch wurde der arabische Teil lange unterdrückt. Nun vereinen sich die beiden und diese Vereinigung ist wunderschön und heilend.”

“Gold” kommt als Album in einem Guss daher, als ein Set, mit einem Sog, der einen vom ersten bis zum letzten Song zieht. Beim Hören fällt auf, das zwischen den einzelnen Songs kaum oder nur sehr kurze Pausen sind; der eine Song hört auf und schon fängt der nächste an. “Das ist keine bewusste Wahl auf dem Tonträger”, sagt Jasmin Albash dazu, “da hatte ich keinen Einfluss darauf. In einer Live-Show arbeite ich aber sehr gerne mit nahtlosen Übergängen, wenn es musikalisch und inhaltlich Sinn macht. Manchmal kann aber auch Ruhe nach einem Song das Beste sein.”

Meira Loom, die eben mit “Letting Go” ihr eigenes erstes Album veröffentlichte, hat sich “Gold” ebenfalls angehört. Was ihr dabei in den Sinn gekommen ist: “Alles wird gut. Jasmin wird mich auffangen, sollte ich fallen. Das passiert ihr selber im letzten Song (“Sink”) und das würde sie auch für mich tun.” Der Grundgedanke hinter Meira Looms Album ist loszulassen, was sie in der Vergangenheit behindert hat.

Lässt Jasmin Albash auch etwas los und hinter sich? “Ich habe vor allem etwas dazu gewonnen”, antwortet sie. “Ich fühle mich durch die Auseinandersetzung und die innerliche Wiedervereinigung und der Akzeptanz meiner zwei Kulturen in mir gestärkt und so fest bei mir wie noch nie.” Loslassen und weitergehen muss aber auch Jasmin Albash ab und zu. Als Sinnbild dafür steht “Moving On”, ein Dance-Track. “Der Musikstil für diesen Song ist wohl keine zufällige Wahl”, bemerke ich. “Man trinkt um zu vergessen, man tanzt um zu vergessen.” Das hätte ich definitiv richtig interpretiert, sagt sie. “Wenn man sich lange mit jemandem oder einem Thema beschäftigt, das einem nicht gut tut und dann endlich loslassen kann, ist das ein Befreiungsschlag. Das Loslassen soll man dann so richtig feiern. Dazu trink ich dann auch ganz gerne mal einen Negroni.”

Wer Jasmin Albash zuhört, fühlt eine Erhabenheit in ihrem Gesang, eine innere Ruhe, und spürt die Position der Stärke, aus der heraus sie ihre Musik macht. Diese absolute innere Ruhe, wie sie sie nennt, spürt Jasmin Albash selber auch. “Wenn ich singe, bin ich voll bei mir. Es ist nicht immer ganz leicht, da hineinzukommen, doch wenn ich lange genau dran bleibe, öffnet sich dieser Raum und ich bin im Flow.”

Und wenn Jasmin Albash im Flow ist, dann entsteht Kunst voller Schönheit, die einem zum Weinen bringen kann. Your beauty makes me cry, singt sie in “Gold”, dem Titelstück – my heart is gently pulled outside. Deine Schönheit – wieder ist es ein ambivalentes You (oder in diesem Fall ein Your), das den Zuhörerinnen bewusst Interpretationsspielraum lässt, wer denn gemeint sein könnte. Doch wen kümmert das? You ist alles und alle. You sind wir! I’m so happy I cry, singt der US-amerikanische Singer-Songwriter Fantastico Negrito auf seinem letzten Album. Wir weinen auch und teilen dieses Glück mit Jasmin Albash.

 

JASMIN ALBASH: “Gold”, out (Irascible Music).

LIVE: 24.10. Kaserne, Basel (Plattentaufe).

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