Licht im Dunkel

IAMX_by_Saryn_Christina_01

Chris Corner ist frustriert. Zwei Shows musste seine Band IAMX in Istanbul wegen Terror-Warnung absagen (wenige Stunden nach dem Telefonat kam es dann tatsächlich zu einem Anschlag). Dieselbe Verzweiflung, die der in L.A. lebende Brite verspürte, als nur zwei Tage nach seinem Auftritt in Paris das Massaker beim Eagles-of-Death-Metal-Konzert passierte, ist wieder hochgekommen. “It’s tough”. Und trotzdem frage ich:

Spüren Sie den Frühling?

Chris Corner: Ja, tu ich. Ich bin gerade in Thessaloniki. Blauer Himmel, Sonne, ich kann das Meer riechen. Cool.

Wenn ich ehrlich bin, kann ich Sie mir einfach nicht so richtig vorstellen mit einem Bier in der Hand, in die Sonne blinzelnd …

… hehe, mit einem Bier sowieso nicht. Aber ich kann auf jeden Fall ein Glas Wein trinken, an einem schönen Sommerabend, in der Wüste, das ist eher mein Style.

Fühlen Sie sich wie verliebt, wenn die Blumen rauskommen?

Ich weiss nicht, Verliebtheit ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen. Aber ich spüre definitiv eine Zufriedenheit. Oder nein: Erleichterung ist vielleicht treffender.

Sie klingen so unglaublich aufgestellt und freundlich. Warum ist Ihre Musik so düster?

Ich war immer interessiert an der ungewöhnlichen, dunklen Atmosphäre, gerade im Bezug auf Musik. Abgesehen davon habe ich tatsächlich Wut, Frustration und düstere Gedanken in mir. Meine Musik ist eine Form von Therapie. Eine Art, mich mit dieser dunklen Seite anzufreunden, sie zu akzeptieren. Es ist besser, ihr zu begegnen, als sie zu unterdrücken. Denn sonst würde sie Überhand gewinnen.

Haben Ihre Eltern nie gesagt: Chris, bitte, mach doch fröhlichere Musik?

Ja, ja, ja, sie hatten tatsächlich eine Zeit lang damit zu kämpfen. Sie dachten wahrscheinlich, ich sei sehr unglücklich. Aber es ist natürlich viel komplizierter. Man kann nicht einfach sagen, der macht düstere Musik, also ist er sicher depressiv. Ich meine, schauen Sie Comedians an. Die haben eine Tradition, psychotisch und depressiv zu sein – das Gegenteil von dem, was sie machen. Letztlich gehen wir alle irgendwann durch einen solchen Prozess. Ich bin glücklich, dass ich vieles in meiner Musik verarbeiten kann.

Auf mich wirken Sie viel mehr sensibel und nachdenklich als depressiv.

Ich bin vor allem emotional. Ja, ich drücke in meiner Musik sehr viele Gefühle aus, weshalb sie manchmal auch wütend rüber kommt. Ich bin definitiv bemüht, sensibel und gut zu sein und gleichzeitig Dinge, die mich bewegen, rauszulassen anstatt sie mit mir herumzutragen.

Brauchen Sie manchmal Drogen, um glücklich zu sein?

Yeah (das kam zögerlich, leise und seeeehr nachdenklich) … I’m still working on that one. Ich bin keine süchtige Person, aber ich bin definitiv offen dafür, mein Leben auf alle mir möglichen Arten leichter zu machen. Manchmal sind es Drogen, manchmal ist es Liebe …

… ja, “you can always fuck your sorrows away”, nicht? (Songzeile aus “No Maker Made Me”, Anm. d. Red.)

Ja, daran glaube ich tatsächlich.

Ihr neustes Album heisst Metanoia. Im Booklet beschreiben Sie den Ausdruck als eine Art Wiedergeburt.

Ja, ich habe das selber erlebt. Jeder, der wie ich durch eine klinische Depression ging – ich litt an einer chronischen Schlaflosigkeit, ausgelöst durch eine Depression – weiss, dass einen diese Krankheit fundamental verändert. Man muss verdammt hart arbeiten, um da wieder rauszukommen, die Kontrolle zurückzugewinnen. Diesen Prozess meine ich mit Metanoia, er hat etwas von einer Erleuchtung. Also bei mir war es zumindest so. Ich sehe Dinge heute ganz anders als vorher und bin viel stärker, wegen dieser Krankheit.

Sie haben Ihre Depression also überwunden?

Ich besitze das nötige Werkzeug, um die Kontrolle zu bewahren. Man kann mit Depression leben und nicht wissen, was es ist. Das ist das Schlimmste. Was mir passiert ist: Es ist einfach ausgebrochen und ich habe irgendwie gelernt, damit umzugehen. Ich bin sicher, es wird wieder kommen. Aber es ist okay für mich, denn ich weiss, wie ich damit umgehen muss.

Vielen Dank für Ihre Offenheit.

Gern geschehen. Mit anderen über die Krankheit zu reden, ist Teil der Lösung.

Meine Tochter weint, hören Sie das?

Ja, ja. Gehen Sie hin und sagen Sie ihr, alles sei in Ordnung. Das Leben ist gut.

Konzert: 24.03.2016, Salzhaus, Winterthur

Aktuelles Album: „METANOIA“ (Caroline International)

(Bilder IAMX / Christina Saryn)

Tags:

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.