Mediale Reizüberflutung, technologische Innovationen im Wochentakt, immer neue Funktionen auf Facebook, die ich nicht checke – das alles macht mich bei weitem nicht so fertig wie das Gefühl, in meinem Leben nie alle Alben hören, alle Filme sehen, alle Bücher lesen zu können, die mich interessieren.
Nehmen wir das Beispiel Hugo Race. Der Australier hat vor einiger Zeit in irgendeinem Zusammenhang mein Interesse geweckt. Dann ah, der gehörte zu der Urformation von Nick Cave and The Bad Seeds (neues Album und Film im September: merken!), und oh, der hat mit Nick Cave und ein paar anderen das Drehbuch zu dem 1989er-Film “Ghosts of the Civil Dead” geschrieben (unbedingt piraterieren!), uh, und mit “Road Series” in diesem Frühjahr eine verheissungsvolle Autobiografie veröffentlicht (darin geht es um gute und schlechte Entscheidungen, und Musiker-Memoiren sind ja meine hilfreichsten Lebensratgeber: bestellen!). Letzte Woche kam ausserdem sein neues Album heraus, “24 Hours to Nowhere”, ein Glanzstück. Immerhin das hab ich schon (relax!).
Und wenn ich es mir anhöre, vergesse ich die Zeit. Und den ganzen Stress, alles auflisten und besitzen zu wollen. Hugo Race ist mein Entschleuniger, zu seiner Musik tauch ich ab, meinetwegen 24 Stunden ohne klares Ziel vor Augen.
Bei dem Gitarristen, der nicht nur dieselbe Heimat, dieselben Talente, sondern auch die Aura eines Nick Cave besitzt, hat man zuweilen das Gefühl, er würde seine Songs mitten in der Wüste, unter der glühenden Mittagssonne, Whisky trinkend und kettenrauchend an einen Kaktus gelehnt schreiben. Sie haben etwas träges, verschwitztes, psychedelisches (“Ballad of Easy Rider” ist nicht gerade das beste Beispiel dafür – “No God in The Sky” schon eher). Aber nicht nur. Denn sobald die Sonne untergeht, kehrt seine Energie zurück, und mit ihr der klare Wille, sich aufzuraffen und dahin zu ziehen wo das volle Leben stattfindet und die Liebe wartet. In dieser Hinsicht und auch textlich sind Races Songs weniger destruktiv als jene von Kollege Cave, die so oft vom Teufel, dem Bösen, dem Dunklen handeln. Viel bluesiger und hippiemässiger. Bei Hugo Race spielt meistens eine Frau die Hauptrolle, ein “flower girl”, eine “miss”, eine “venus in furs” oder ein “beautiful mess”.
some call it dancing
some call it time
I call it passion and it burns
I call it romance
that’s the power of you and i
(“The Power of You and I”)
Das Album, von dem ich übrigens nur annehmen kann, dass mit Fatalists die Bandmitglieder gemeint sind (ist schon verwirrlich, denn einige Musiker, die auf dem Album auftauchen, sind auch bei Hugo Race & True Spirit dabei), ist auf jeden Fall nur der Anfang einer neuen Recherchereise. Ich bin Hugo-Race-süchtig. Erst recht, seit ich das Video seiner Band The Wreckery sah, mit der er nach der Zeit bei den Bad Seeds unterwegs war. “There ain’t no lesser evil than the one you’re with” – solche Sätze schiggen mir halt schon den Ärmel rein.
Das Konzert von Hugo Race am letzten Samstag in Genf hab ich übrigens verpasst. Wegen “House of Cards”, wofür ich doch auch irgendwann noch Zeit einräumen muss. Rockette Nina meint, auch an ihr sei dank dieser Serie schon so einiges vorbei gegangen. Schwacher Trost.
HUGO RACE & FATALISTS: “24 HOURS TO NOWHERE”, out (Glitterhouse Records)
(Bild: Facebook / Nicola Sacco)
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