“Halli” ist der letzte Song des Sets, das Kassette am Donnerstagabend im Kairo spielt. “Halli” ist roh und rockig und grob wie die anderen Stücke der begnadeten Gitarristin Laure Bétris alias Kassette, die junge Freiburgerin macht grossartig guten Krach, das Volk ist begeistert und jubelt immer wieder dazwischen. Doch scheint “Halli” von noch tiefer unten aus Laure heraus zu klingen als die anderen Songs, uferlos wie ein Bach bei Hochwasser, unkontrolliert, schmerzhaft, wie ein Lied gegen den Krieg. Laure sagt:
“Musik hilft. Denn die Welt ist so fucked up! Musik hilft uns allen.”
Laures Herkunft: Die abgefuckte Welt – das ist auch ihre Heimat, in der sie nie war, weil dort Krieg herrscht: Laures Vater stammt aus dem Irak. Die Familie ist in die USA geflüchtet, Laure besucht sie regelmässig und sie telefonieren oft. Dann etwa, wenn die Musikerin bei ihrem Vater Worte sucht. Worte in Aramäisch, der Sprache ihrer Wurzeln, Laure spricht sie nur bruchstückhaft, doch lässt sie auf jedem Album etwas davon einfliessen, im jüngsten und vierten Werk “Bella Lui” ist es “Halli” (“Give me”).
Laure vor dem Konzert: Sie sitzt vor einem Glas Rotwein, die Show beginnt in 90 Minuten. Etwa 20 Minuten vorher werde sie nervös, sagt Laure, dann helfen ihr kleine Rituale: Kleider wechseln, Schminken, ätherische Öle einreiben, “Lavendel hilft gut gegen Nervosität”. Ihr Deutsch ist fast fehlerfrei, sie liebe diese Sprache sagt sie, deshalb auch der Name Kassette, “und weil ich anachronistische Dinge mag”.
Laure auf der Bühne: Ein hautenges goldenfarbiges Kleid, ihre tanzenden Locken, euphorisch bearbeitet sie die Gitarre und schleudert dem Publikum ihren punkigen Rock entgegen, ungeschliffen und ungestüm, ein breites Grinsen im Gesicht, volle Kraft voraus. Deutlich spürbar ist die Symbiose, die sie mit ihrem langjährigen Weggefährten Sacha Ruffieux vereint; nach einer Schrecksekunde streckt ihr dieser das verloren gegangene Plektrum entgegen. Für den soliden Boden sorgen zu Laures Linken Vincent Hänggi an den Drums und Bassist Adrien Guerre.
“Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen”, sagt Laure. “Es ist die direkteste Art, den Menschen deine Musik zu vermitteln. Es bringt Freude, aber auch Schmerz.”
Laure nach dem Konzert: Sie wünsche sich nach den Konzerten mehr direktes Feedback. Immer höre sie nur über 7 Ecken, ob ihre Musik gefallen habe oder nicht, das sei schade. Man ahnt: Zu viel Power, zu viel Intelligenz und Schönheit. Eine Kombination, die Männer in die Flucht treibt. “Sie haben Angst vor mir”, sagt Laure tatsächlich. Und ich sage: Nach dem Konzert und dem sympa Treffen im Kairo kann ich als furchtlose Frau unverblümt verkünden: J’ai aimé beaucoup, Laure, c’était trop cool!
Aktuelles Album: „BELLA LUI“ (Irascible Music)
(Fotos: Enrique Muñoz García)