Die Pole kann er zwar nicht verschieben (gibt BastiBasti in “Utopia” zu) – der Fronter von Callejon singt sich auf der neuen Scheibe “Fandigo” aber mit feinsinniger Eindringlichkeit in die Herzen und Ohren aufmerksamer (!) Zuhörerinnen und Zuhörer.
Callejon lassen mit ihrem siebten Studioalbum ihre “Porn from Spain”-Zeiten hinter sich. All jenen, die jetzt immer noch fragen “ääähm, wie spricht man eigentlich euren Namen aus?”, sei geraten: Google öffnen, Spanisch-Kurs für Anfänger buchen und Klappe halten. Wir haben wichtigere Themen zu besprechen.
Während die Schweiz kürzlich unter einer sommerlichen Kältefront mit Dauerregen ächzte, genoss ich jede Gewitterwelle in vollen Zügen. Sie untermalte perfekt das, was sich gerade in meine Gehörgänge bohrte und auf schmerzhaft schöne Art und Weise mein Herz bearbeitete.
Ich atme ein, ich atme aus – Ich fühle mich so leer.*
Mich leer zu fühlen, war selten so schön und erfüllend wie mit BastiBasti, dem Sänger von Callejon, im Ohr. Ja, die neue Scheibe der Metalcore-Formation ist deutlich anders ausgefallen. Nicht umsonst kündigten die Deutschen an, dass nach dem 28. Juli 2017 – dem Release-Tag – “nichts mehr so ein wird, wie es mal war”.
Wer sich die Platte in der Erwartung kauft, “Porn from Spain 3” zu hören, oder rotzfreche Covers wie auf “Man spricht Deutsch”, der wird enttäuscht sein. Denn: Nachdem die letzte LP “Wir sind Angst” ein Riff-Brett voller Wut und Screams war, stand für Callejon fest, dass “Fandigo” ganz anders daherkommen muss: “Damals ging es um die blanke Wut”, so BastiBasti, “wir hatten uns die Frage gestellt, was Angst mit der Gesellschaft macht. Wie wir heute sehen: sie zerfällt.” Rechtsrutsch, Trump, Brexit – BastiBasti zeigt sich ernüchtert darüber, wie sich die Welt in den letzten zwei Jahren entwickelt hat. “Vor drei Jahren haben wir gedacht: Wenn das und das wirklich passieren sollte, ist alles am Arsch. Heute muss man leider sagen: Diese Dinge sind alle passiert und wir sind wirklich ziemlich am Arsch. Wir können und wollen vor diesem Hintergrund keine Partymucke schreiben”.
Hinab, hinab, hinab – willkommen im Himmel, Hölle Stufe 4.*
Rund zwei Jahre lang haben sich Callejon, allen voran Sänger BastiBasti und die Gitarristen Bernhard Horn und Christoph “Kotsche” Koterzina in ihrem Headquarter – zwei Etagen mit Büro, Fotoatelier und Studio – versteckt und über Gott und die Welt philosophiert. Dabei ist “Fandigo” entstanden, und damit ein Album, das weh tun will.
Aber: Schmerz kann nicht nur mit Gewalt ausgelöst werden, sondern auch mit grausamer Ehrlichkeit. Mit seinen Texten hält BastiBasti der Welt einen Spiegel vor, fragt sich, wie er zwischen Social Media und Terror seinen Weg gehen soll.
Lebst du, wie ich, hinterm Sonnenschein? Lässt dich die ganze Welt allein?
Bist du so einsam wie Gott und der Mond – glaub mir, du bist es nicht, es ist diese Zeit, die in dir wohnt. *
“‘Wir sind Angst’ war von Wut getragen – ‘Fandigo’ ist wie der Tag nach dem Unwetter. Ich habe mich gefragt, wie ich mich in dieser Zeit fühle”, so BastiBasti im Gespräch, “Musik macht frei, ich kann einen Teil der Last dessen, was ich fühle – esoterisch gesagt, eine Energie – in einen Song hinein geben, und wenn ich damit einen Einfluss auf jemanden habe, jemanden berühre, der sich denkt ‘hey, das fühle ich auch’, dann habe ich etwas erreicht. Egal aus welcher Generation dieser jemand ist – das kann auch eine Hausfrau über 50 sein, die sich einsam, verlassen und nutzlos fühlt -, wenn ich jemandem vermitteln kann, dass er nicht allein ist in dieser Zeit, dann habe ich etwas ausgelöst.”
“Fandigo” sei das Album ihres Lebens, so Callejon. Wer sich tiefer mit der Person BastiBasti beschäftigt – mit seiner Liebe für Gin Tonic über die Faszination für Marie Antoinette bis hin zu den musikalischen Vorlieben (Type O’Negative) – kann den Sänger beinahe in jeder Note des neuen Albums spüren. Aber nicht nur, weil er diese Musik selbst mag, haben sich die 80er-Jahre in Form von Keyboards und wabernden Synthies zwischen die Metal-Riffs geschlichen. Diese Einflüsse sind für BastiBasti eine logische Konsequenz davon, ein Abbild der aktuellen Zeit schaffen zu wollen: “Ich fühle mich momentan stark an die 80er-Jahre und die No-Future-Stimmung nach dem kalten Krieg erinnert.”
Jedes Wort wird zum Gedicht, als Wortspiel für das Endgericht.*
Es sei auch der digitalen Ära geschuldet, in der man ohne gross nachzudenken einen bissigen Kommentar postet, dass die ersten Reaktionen der Fans auf das neue Callejon-Material teilweise vernichtend ausgefallen seien, so BastiBasti. Und es ist wahr, wer die Party-Metal-Mucke von früher sucht, wird auf “Fandigo” nicht fündig, auch wenn Tracks wie “Nautilus” oder “Fandigo Umami” mit gewohnt prägnanter Schärfe dahinbrettern. “Fandigo” ist ein Album für aufmerksame Zuhörer, für Menschen, die viel nachdenken und Fragen stellen: “Ich masse mir an, kluge Dinge zu sagen, weil ich ständig reflektiere. Man muss auch in der heutigen Zeit zuhören, um Dinge zu verstehen – das gilt auch für dieses Album. Wir sind nun mal Künstler und keine Handwerker – wir können nicht einfach weiterhin das machen, was man von uns gerne hätte.”
Oh Gott, du hast dich so sehr verändert, klagen sie mich an. Bitte erspar mir das, du hast mich doch nie gekannt.*
Für BastiBasti bedeutet die inhaltliche Schwere der neuen Songs übrigens keinesfalls, dass die Konzerte tieftraurig und die Stimmung düster wird. “Es ist doch wie mit dem Wort ‘sterben’. In ‘Mit Vollgas vor die Wand’ singe ich, ‘sterben ist normal’. Sterben steht aber nicht grundsätzlich für Ende, sondern kann auch eine Transformation, einen Neubeginn bedeuten.”
Auf der kommenden Tour mit Papa Roach und Frank Cartner & The Rattlesnakes legen Callejon auch einen Halt in Winterthur ein – und haben als Vorband fest vor, die Hütte abzureissen. Als Support könne man sich schliesslich den ein oder andern Gin Tonic mehr gönnen und müsse keine 90-Minuten-Show durchhalten.
Und wer nach einem Live-Konzert von Callejon immer noch findet, “die sind aber depro”, der hat einfach nicht richtig zugehört. Übrigens ein weit verbreitetes Problem heutzutage.
CALLEJON: “FANDIGO”, out (People Like You Records)
* Wer aufmerksam zuhört, kann all diese Zeilen auf dem neuen Album entdecken.
(Bild: zvg)